Provence

oder

die Route de Soleil

Wir schreiben das Jahr 2021.Die Pandemie (das Virus Sars Cov 2) hat unser Leben fest im Griff. Reisebeschränkung, Quarantäne verhindern die Möglichkeit der freien Reise. Ich fühle mich hilflos, bevormundet, gegengelt und in meinem selbst bestimmten Leben eingeengt. Mein Chef hat mir Urlaub gegeben. Aber wohin? Schlagbäume, Grenzkontrollen lassen mich in meinen vier Wänden versauern. Tristesse hat mich ergriffen. Ich flüchte mich in meine Tagträume.

Radeln für Europa, die Schlagzeile im Main Echo vor 30 Jahren – mein erstes grosses Projekt meiner Abschlussklasse der Berufsaufbauschule in Aschaffenburg. 20 junge Männer auf den Drahtesseln nach Strassburg. Waren wir glücklich nach 150 km auf zwei Etappen unsere Jugendherberge erreicht zu haben. Das Bier lief in strömen. Zaghafte anbahnungsversuche mit den hübschen Mädels aus Lyon ohne Sprachkenntnisse nur mit Händen und Füssen wurde von Erfolg gekrönt. War ich stolz und glücklich. Und damit reifte die Überzeugung: wir müssen den Mut haben Grenzen zu überwinden!

Madame Truk, 90 Jahre, bescheiden, klein, tiefe Falten im Gesicht aber immer ein Süppchen auf dem Holzofenherd und einen leckeren Pastis für mich. Bin gerne auf einen Plausch zu ihr. In ihrer kleinen warmen Stube war stets ein Platz. Mein Französisch war holprig. Das machte nichts, wir verstanden uns. Ich hatte das Gefühl ich muss was gut machen. Ich, Der Deutsche. Im Ersten Weltkrieg (Stellungskrieg bei Verdun) hat sie einen Bruder verloren und im Zweiten dann auch nochmal 2 Brüder. Aber wie kann man das gut machen und warum ich. Aber ich fühlte mich immer ein bisschen schuldig. Die Gnade der späten Geburt überzeugte mich nicht.

Madame Truk

Sie war eine Zockerin vor dem Herrn. Pferdewette war ihr Metier. Da kannte Sie sich aus. Am Anfang hab ich gedacht: das ist so wie bei meiner Oma Gerda Nikolaus und der Lotterie. Immer die gleichen Zahlen und am Ende Gewinnt die Bank. Nein, ganz und gar nicht. Paar mal schickte sie mich zum Wettbüro und was ich dort an Bargeld abholte übertraf meine Künsten Träume. Was für ein französisches Schlitzohr, aber très sympa!

Le Vigneron, so hiess mein erstes kleines Geschäftle. Die Idee, bei kleinen freien Winzern (Vigneron Recoltant) im Cotes du Rhône direkt ohne Zwischenhändler einzukaufen war nach meinem Abitur geboren. Gerade in dieser Zeit entstand der Zollfreie Warenverkehr in der EU. Und ich war mit einer kleinen 9 stelligen Zollnummer mit dabei. Klar, war mein Vater die treibende Kraft. Aber ein gewisses Hollerlisches Selbsbewusstsein, nach einer 3 jährigen Lehre in der Pfalz, eigentlich alles zu können, zu wissen und schon im stillen der Weinpapst genannt zu werden.

FORD TRANSIT, da passt was rein!

Einen Ford Transit mit langen Radstand und einem Turbo war mein erstes grosse Leasinggeschäft. Da passte was rein. Unter dem Vorwand eine gute Dolmetscherin zu benötigen (was bei meinem holprigen Französisch ja auch stimmte) nahm ich meine damalige Freundin zum Übersetzen mit auf die Reise. Naja, Picknick in der Campagnie mit Baguette, Fromage, Rouge und freie Liebe unter dem azurblauen Provencehimmel war ein netter Zeitvertreib auf meinen Besuchen der kleinen Domaine et Château.

Eine Grenze überqueren. Zum Nachbarn, (der berühmte Maschendrahtzaun) die Grenze zum nächsten Dorf, die Grenze eines Bundeslandes oder die Grenze eines Staates. Von klein auf wachsen wir mit Grenzen auf. Die schlimmste Grenze war die Innerdeutsche. Ich kann mich noch an eine Reise nach Leipzig zu meinem Patenonkel Udo Elephant erinnern. Er war nicht in der Partei und der beste Jugendfreund meines Vaters. Sie hatten eine alte Mühle restauriert. In der konnten sie sich an den Wochenende frei bewegen. Das DDR Regime hörte nicht mit.

Ziemlich Beste Freunde! Eine grosse Rede zum 60 Geburtstag meines Vaters

Diese Grenze zu passieren, schwer gesichert, von weitem sahen wir die hohen Wachtürme, eine Selbstschussanlage mit Minen gepflastert macht jeden Fluchtversuch unmöglich. Im Auto wurde es still ich konnte die Anspannung meiner Eltern spüren. Alle Pässe parat und eine freundliches Gesicht aufsetzen. Half nichts. Aussteigen. Kofferraum aufmachen. Koffer für Koffer wurde gefilzt. Bis auf das letzte Ei. Sie fanden nichts. Nach was sie wohl suchten? Weiterfahren! Durchpusten, zaghaftes Lächeln, wir hatten es gepackt.

DIE MÜHLE , die Stasi hörte nicht mit!?

Mit der Erinnerung von damals, mein Ausweis suchend, fahre ich an die Deutsch-Französische Grenze. Ich überquere den Rhein. Ich sehe noch ein paar verlassene Baracken. Mehr nicht. Das soll jetzt die Grenze sein? Mein Mobiltelefon meldet sich und informiert mich über die Roaminggebühren. Ist das nicht schön. Europa. Was haben wir nicht alles erreicht in diesen Jahren! Aber dann kommts. An der ersten Mautstelle werde ich von einem Polizisten angehaltem. Wohin ich will? Provence, Valréas! Covid Test? Ja, natürlich, bien sure. Er schaut sich das Dokument genau an; Ok, bonne route!

Es ist nichts selbstverständlich. Von Heut‘ auf Morgen kann sich die Welt verändern. Grenzen empfinden viele Menschen als Sicherheit, und je unsicherer die Zeiten desto sicherer und unüberwindbar die Grenze.

Die Vorfreude steigt, im Kofferraum noch sicher eingepackt mein Merida Reacto. Ich fahre auf der Route de Soleil, im Radio trällert der Sender Nostalgie von Gilbert Bécaud alte Chansons. Ich pfeife ein bisschen mit, die Sonne lacht, die Pinien am Strassenrand bewegen sich leicht im Wind.

Es war die Papstkrone mit den Insignien der gekreuzten Schlüsseln die mein Bruder mit dem Comodore 64 auf ein Etikett designte. Domaine Maximilian war geboren. Die Weinberge lagen in der Enclave des Papstes, in Valréas. Heute nach einem langen Rechtsstreit besitzt das berühmte Chateuneuf du Pape die Rechte auf die Tiara, die Papstkrone der Gegenpäpste von Avignon. Ich laufe gerne den alten Grenzweg ab, die schon die Päpste im 13 Jahrhundert querten. Olivenhaine, Trüffelwäldchen, alte knorrige Reben und kleine farbenfrohe Lavendelfelder säumen meine kleinen Spaziergang. Daheim in der Chemin de la Fanfinette angekommen wartet Mama mit einer herzlichen Umarmung und einen vitalisierenden Espresso.

Quakende Frösche wecken meinen tiefen wohligen Schlaf. Die Sonne lacht, azurblauer Himmel, schnellfliegende Wolken. Der Mistral kündigt sich an. Ein kalter Nordwind, angenehm im Sommer bei einer leichten Brise 20 km/h, gefährlich stürmisch, kalt im Herbst und Winter! Mein Merida Reacto wartet ungeduldig im Sonnenlicht. Nochmal die Kette geölt, die Reifen auf 8 bar, Wasser in den Trinkflaschen.

Ich lass mich treiben, kenne die Gegend wie meine Westentasche. An jeder Ecke, an jedem Rond Point eine Erinnerung. Le Grand Hotel, Besitzer Misseur Gleize war der Erste den ich vor 30 Jahren nach guten Weinen in der Gegend fragte. Domaine de la Prevosse, Domaine Lumian, ja auch die Cave la Gaillard macht ordentliche Weine, aber Chateuneuf du Pape, Gigondas oder Tavel das sind Cru`s referierte er. Der Mistral treibt mich nach Chateuneuf, bei den Grossen und Berühmten bin ich abgeblitzt. Ok, dann haben die mich als Händler auch nicht verdient. Domaine la Vieille Julienne, klein unscheinbar aber welch schöne Qualität im Glas. Später höchst bewertet bei Parker!

Des vins qui ont une âme, une singularité, celle de la bienséance, de l’élégance, de la puissance dans l’équilibre. Tout simplement magnifique »

Yohan Castaing – Anthocyanes

Mein Weg führt mich nach Tavel, grosser berühmter Rosé Frankreichs. Bei Domaine Maby wurde ich damals schnell einig. Ich passiere Pont du Gard, ein berühmtes Zeugnis römischer Baukunst. Über Avignon am Papstpalast vorbei nehme ich Kurs auf den Mont Ventoux. Ich erreiche ein kleines verschlafenes Dorf. Entrechaux, hier irgendwo muss doch die Domaine Champ-Long liegen. Ah, kleines Weingut tief versteckt in den Bergen, aber eine Offenbarung für mich als junger Weinhändler. Ich hab ihn entdeckt, den Schatz. Als wär es Gestern gewesen. Jeden Wein noch auf der Zunge. Frischer spritziger Rosé, modern violett funkelnd im Glas. Der nächste Wein aus dem Fût de Chêne, schwer komplex, dunkle Schokolade am Gaumen. Und die Preise! Ich machte den Ford Transit voll bis Unterkannte! Gutes Geschäft!

Der Mistral frischt auf, er blässt in Böhen mir kalt ins Gesicht. Ich mach mich klein, sehr klein auf meinem Merida Reacto. An Vaison la Romaine vorbei, über die heimliche Olivenhauptstadt Nyons. Meine Hände, meine Füsse, der kalte Nordwind frisst sich in meine Glieder. Ausgelaugt, verfroren, mit meinen letzten Kräften erreiche ich Valréas, La Refuge (Die Zuflucht). Ich denke an den Film Chocolat mit Juliette Binoche. So wie in diesem Ausschnitt fühle ich mich. Nur eine heisse Tasse Chocolat kann mich retten. Ich taue auf.

Bleibt Gesund, bleibt mir treu.LG.Euer Coach.