Paplitzer Strasse 32

oder

Ich bin ein Berliner!

Ich bin im Anflug mit der Pan Am Boeing 737 Clipper „Spandau“ auf den neuen Flugafen Tegel. Eine Melodie liegt mir auf den Lippen. Um mich zu beruhigen summe ich leise ein kleines Lied. Ich bin 10 Jahre alt und allein auf den Weg zur meiner Oma Gerda. Gerda Nikolaus Wohnhaft in der Paplitzer Strasse 32 in Lichtenrade, Westberlin.

Wind Nord/Ost, Startbahn null-drei
Bis hier hör' ich die Motoren
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei
Und es dröhnt in meinen Ohren
Und der nasse Asphalt bebt
Wie ein Schleier staubt der Regen
Bis sie abhebt und sie schwebt
Der Sonne entgegen

Ich habe eine Einladung vom Radrace Team zu einem Radrennen fixed42 in Berlin erhalten. Mein Merida Reacto gut verstaut im Kofferraum mach ich mich auf den Weg in die Hauptstadt. Die Fahrt wird lange dauern. Monoton fahr ich auf der Autobahn A3 vor mich her und wieder höre ich ein Lied im Radio aus Kindheitstagen. Über den Wolken muss die Freiheit wohl Grenzenlos sein krächtze ich in mein Lenkrad. Und ich denke an meine Oma Gerda, ehemals wohnhaft in der Paplitzer Strasse 32 in Westberlin.

mal anders

Aufatmen. Sie war da, am Gate, schloss sie mich, begleitet von der netten Stewardess, herzlich in die Arme und drückte mich fest an sich. Ein spannendes Abenteuer in der geteilten Stadt konnte beginnen. Ein kleines Häuschen mit Garten am anderen Ende der Stadt nannte sie ihr eigen. Schön, einfach, beschaulich.

Sie wollte mir die Welt zeigen. Mir, dem Jungen vom Lande. Und sie hatte ein straffes Programm vorbereitet! Die erste Fahrt mit einem Doppeldecker Bus, in die Stadt, wie sie zu sagen pflegte. Im Europa Center auf ein Spaghetti Eis, warten auf die volle Stunde der Wasseruhr, anschliessend der erste Besuch eines Theater. Das GRIPS! Die Museumsinsel hoch und runter. Das Dali Museum, (anspruchsvoll für einen 10 Jährigen) am Reichstag und Brandenburger Tor vorbei, die Siegessäule erklimmen, im Kranzler auf eine heisse Schokolade und eine Abstecher zum Check Point Charlie. Am Abend glühten mir die Sohlen. Bei einem Knoblauchwurstbrod (die Salami gabs beim Kaiser) und einer Johannisbeer Schorle wurden meine Energiespeicher wieder aufgefüllt. Schlummernd, den Tag noch verarbeitend, viel ich in einen tiefen wohligen Schlaf.

fixed42 ist eine neue Radbewegung

– und die Weltmeisterschaft findet in Berlin statt.

Ankündigung von den Machern des fixed42:

Stell dir vor, nur du, dein FixedGear-Bike, deine besten Buddies und Hunderte anderer Fahrradverrückte zerschreddern die Straßen Berlins und kein einziges Auto in Sicht. Klingt zu schön um wahr zu sein – ist es aber nicht. Ein einziges Mal im Jahr, während des Velothon Berlin, bietet das RAD RACE Team allen Fixed-Fahrern mit der inoffiziellen FixedGear-Weltmeisterschaft 42 Kilometer autofreien Asphalt durch die Hauptstadt. Berlin macht sich bereit für die Fixed Gear-Weltmeisterschaft: 42,195 Kilometer gesperrte Strecke – inklusive Autobahn und innerstädtischen Straßen, auf denen knapp 700 Starterinnen und Starter aus über 25 Nationen um den Weltmeistertitel fighten. Sonntag um 14.10 Uhr heißt es dann wieder: Mit voll Speed ‚fixed‘ und ohne Bremsen durch Berlin und auf dem Weg zum Weltmeistertitel. Der Start ist in Ludwigsfelde, von dort geht’s auf die Stadtautobahn, weiter über innerstädtische Straßen in Richtung Siegessäule und über die Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor. Knapp 700 Fahrerinnen und Fahrer aus über 25 Nationen fighten bei den RAD RACE FIXED42 World Championships um die inoffizielle Weltmeisterschaft für Fixed Gear. Dieser anspruchsvolle Wettkampf erfordert Taktik, Geschwindigkeit und natürlich Durchhaltevermögen. Dadurch ist das Rennen für die Teilnehmer eine große Herausforderung und für die Zuschauer spektakulär und absolut sehenswert

Runter vom Berliner Ring, über den neuen Flughafen BER geht es nach Lichtenrade. Steht das Haus noch? Bin neugierig. Ich biege in die Paplitzer Strasse ein. An der Ecke der Blumenladen Kabisch, in dem hatte ich immer noch schnell einen Strauss geholt. Ah, für Frau Nikolaus!, sie war bekannt wie ein bunter Hund. Auf Kopfsteinpflaster, am Friedhof vorbei sehe ich den Zaun, verborgen hinter hohen Sträuchern, das Haus meiner Oma. Eine Zeitreise.

Berlin war immer eine Reise wert. Du bist doch nicht meinetwegen gekommen, geh raus und mach Berlin unsicher, sagte sie immer! Die geteilte Stadt, eine politische Stadt, den Ost – West Konflikt konnte man Hautnah spüren und trotzdem hatte diese Stadt so eine lockere beschwingte Atmosphäre, als würden alle Berliner in einer Super Nova Blase leben. Und insgeheim taten die Berliner das auch. Sie waren sich genug. Der Grunewald war so gross und so schön wie mein Spessart, der Wannsee so weit und tief wie die Ostsee, der Teufelsberg so hoch und steil wie der Mont Ventoux. Das Nachtleben so ausgelassen und bunt wie in meinen schönsten Träumen. Ich liebe Berlin.

Und Heute bin ich gekommen um mit meinem Merida Reacto Berlin zu erobern. Ich schaue mir die Vorbereitungen für das fixed42 Rennen an. Fahrräder umgebaut zu Rennmachinen mit grossen Kettenblätter, ohne Schaltung, ohne Bremsen. Verrückt.

1914 geboren, als Gerda Lehmann in Berlin Mariendorf. Abitur an dem Gymnasium in Tempelhof.1939 Heiratet sie Hauptmann Herbert Nikolaus unter Hitler in der Dorfkirche zu Lichtenrade. Zweimal ausgebombt. Ihr Mann, Herbert Nikolaus fällt an der der Ostfront bei Riga. Ende der Kriegstage, die Geburt der Tochter. Eine Christa, da standen die Russen schon vor den Toren Berlins. Wiederaufbau aus Schutt und Asche. Der Begriff der Trümmerfrauen geht in die Geschichtsbücher ein. Eine bescheidene Witwenrente. Aber die Tochter soll es mal besser haben. Berlin wird geteilt. Die Mauer trennt Familie und Freunde. Die Rosinenbomber retten Berlin und Kennedy spricht seinen berühmten Satz: Ich bin ein Berliner! Es geht aufwärts, der Wohlstand wächst. Man kann sich wieder was leisten. Ins KADWE,(am besten in die fünfte Etage), mal ins Kranzler auf ein Kaffee, mal in die Deutsche Oper. Aber die Ängste blieben, sie wird sie nicht mehr los. Trotz alledem, ein Selbstbestimmtes Leben. Eine starke Frau.

Mein letzter Besuch…

Das Rennen hat einen Sieger. Ich drehe noch eine Runde mit meinem Merida Reacto um die Siegessäule. Menschen applaudieren, Menschen jubeln, Menschen feiern. Ach, wie schön, Oma wäre stolz, stolz auf ihr Berlin! Auf ihre Berliner!

Bleibt gesund, bleibt mir treu, LG, Euer Coach

Nachspann

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  1. Dari

    Sehr schön geschrieben…habe mich in die Geschichte versetzt gefühlt 👍👍👍

  2. christa holler

    lieber sebastian, du hast mein herz beruehrt , und was fuer eine liebeserklaerung an oma , die berliner an sich und natuerlich an eine grossartige stadt…..wie schoen, dass wir erinnerungen haben, sie sind so wichtig, mir geht es genauso…. es gibt eine treffende bemerkung, ich weiss nicht von wem, die sagt, dass „erinnerungen die rosen des winters sind“… und wenn gar nichts mehr geht, dann veranstaltest du dein eigenes kopfkino….und je reicher dein leben war, desto mehr kannst du in deinen erinnerungen leben….in liebe und dankbarkeit an meine geburtsstadt… an alle moeglichkeiten, die sie mir bot….und m e r c i à toi! mama

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