Der Streckenposten

oder

die 🇩🇪 Tour

zu Gast in Stuttgart

„Bist du deppert hier die Straße zu sperren!“, wurde ich richtig wütend angeschnauzt. „lch hab zwei kleine Kinder im Auto und der Opa wartet auf sein Essen“ schrie die junge Mutter mich hysterisch weiter an! Andere aufgebrachte Autofahrer kamen dazu ich kam in schwitzen in meiner gelben Warnweste. Was war passiert?

Der Morgen fing eigentlich so schön an. Die Regenwolken der Nacht hatten sich verzogen, die ersten Sonnenstrahlen, herrlich. Ich traf mich mit Marc von der Radbande und wir fuhren plaudern den Neckar entlang. Querten den Neckar und bogen in die Rems, ein kleines verwunschenes Tal in Richtung Schorndorf, mein Ziel als Streckenposten für die Deutschlandtour des Jedermannrennen, ein. Dort sollte ich für 2 Stunden eine Straße sperren. Wir trafen auf die Stuttgardia Kumpels zur Einsatzbesprechung. Die Warnwesten wurden verteilt, die letzten Anweisungen. Ich war auf meinem Posten. Das Rennen konnte beginnen.

Der Streckenposten

Die Deutschlandtour, ein vier Tages Rennen der Profis und das Finale in Stuttgart. Auf der Theodor – Heuss Straße, genannt einfach „Die Theo“. Ein Spektakel. Die ganze Stadt, die ganze Region im Radsport Fieber. 2018 war die Tour schon Mal zu Gast in meiner Wahlheimat und ich meldete mich zum Jedermannrennen an. 100 km über gesperrte Straßen, über gesicherte Kreuzungen, einmal wie sich ein Profi in einem grossen Peloton fühlen. Gross.

Ja, mit dieser Erinnerung wollte ich Mal dazu beitragen so ein grosses Rennen als Streckenposten zu tragen. Mal die andere Seite der Medaille, mal „Einer“ von den hunderten von ehrenamtlichen Helfern zu sein. Ein kleines Rädchen. Ohne die so ein Rennen nicht möglich wäre. Aber auf das was dort kam war ich nicht vorbereitet….

Zur erst kamen die Polizei Motorräder mit Blaulicht in einem höllischen Tempo, dann das Einsatzfahrzeug mit der Roten Flagge. Das Zeichen für die Komplett – Sperrung der Rennstrecke. Wenige Minuten folgte schon eine Spitzengruppe. Die ersten waren verdammt schnell unterwegs. lm Ziel hatte der Beste ein Stundenmittel von 42 km/h auf der Uhr. Eigentlich schon Profi Tempo! Danach kam lange nichts. lmmer musste ich genervte Autofahrer zurück schicken. Viele wollten mit ihren Kindern ins benachbarte Freibad, einige einfach nur nach Hause. Alle brauchten Geduld an diesem Sonntag in Schorndorf. 3200 Rennradfahrer nahmen Teil und leider sind nicht alle so gut trainiert. Für einige war es auch ihr erstes Rennen. 25 km/h ist die mindest Durchschnittsgeschwindigkeit, danach kommt nur noch der Besenwagen. So mussten wir natürlich lange warten an meiner Kreuzung. Den ein oder anderen Autofahrer konnte ich ermuntern auszusteigen und dem Rennen beizuwohnen. Unter ständiges klatschen, aufmunternde Worte, motivierende Rufe feuerten wir gemeinsam jeden Amateur an. Jeder hat es verdient, jeder hat sein persönliches Leistungsvermögen, sein persönliches Ziel und wenn es nur ankommen und nicht vom Besenwagen eingesammelt zu werden bedeutet. Kurze Zeit später kam das Polizei Fahrzeug mit der grünen Flagge, das Zeichen meine Sperrung aufzuheben. Ich war erleichtert, bedankte mich bei allen für ihre Geduld. So schlimm war es doch nicht. Aussteigen, locker bleiben, sich in andere Hinein Versetzen, raus aus seinem Ego Tunnel eine halbe Stunde seines Lebens für ein Rennen, für den Radsport geben. Danke. Kurz traf ich mich noch mit meinen anderen Strecken Posten von der Stuttgardia und jeder erzählte noch eine weitere Anekdote an diesem Tag in Schorndorf.

Kumpels von RS Stuttgardia 1886 ev.

Ich verabschiede mich, schnappte mein Merida Reacto und fuhr auf der gleichen Strecke, überholte den Besenwagen, überholte erschöpfte Rennfahrer und winkte den anderen Streckenposten zu, die gerade ihre Straßen Sperrung abbauten. Jetzt hatte ich Bock ein Rennen zu fahren. Ich wurde immer schneller. Rein nach Stuttgart, den Pragsattel hoch im Wiegetritt am Killesberg vorbei feuerten mich die Zuschauer an. In meiner Phantasie war ich jetzt der Polit, der Egan Bernal oder doch der Adam Yates, führender der Deutschland Tour. Mit Tempo im Stile eines Abfahrers, tief klebend am Oberrohr raste ich den Stuttgarter Kessel runter. Jede Kurve voll ausfahren, wie auf Schienen, mit der Gewissheit:Die Straße ist für mich gesperrt, es kann kein Gegenverkehr kommen, kein Auto aus einer der vielen Kreuzungen. Allein auf meiner Rennstrecke bog ich auf die Zielgerade ein. Die Theodor- Heuss Straße, genannt „Die Theo“. (die Poser Strasse am Abend für PS starke Autos) Nochmal aus dem Sattel, jetzt 50 km/h und schneller stürmte ich durch das Ziel, begleitet mit Applaus der vielen Radsportfreunde aus ganz Deutschland, links und rechts der Bande, klopfend mit den Fäusten auf die Werbebande, ein Trommelwirbel zum Finale. Nur für mich. Danke.

Ich überhole den Besenwagen

Siegerehrung

Jetzt, im Ziel, ließ ich mich treiben, schlenderte die Theo ab, sog die autofreie Stadt in mich auf. Sah glückliche Finisher, mit ihren Medaillen, stolz baumelnd an der Brust. Benni von der Radbande kreuzte meinen Weg. Er ist unter die Top 100 gefahren. Klasse, und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Der Hubschrauber kündigte die Deutschlandtour an. Drei Runden mussten in der Stadt gefahren werden. 3 Mal den Herdweg mit seiner brutalen Steigung. Was für eine Show. Das ist Radsport zum Anfassen. Ich bin begeistert. Michel von der Radbande im Stromberg/RS Stuttgardia 1886 ev. kommt vorbei, genau in diesem Moment kracht ein Profi Rennfahrer in die Bande. (Matthias Jensen, zum Zeitpunkt 4 . in der Gesamtwertung, gute Besserung) So wie bei mir im Jedermannrennen schildert er seinen Unfall und zeigt mir seine Blessuren. Der Besenwagen hat ihn eingesammelt. Sieg und Niederlage liegen so dicht beieinander. Aber dabei sein, sich einbringen. Als Profi, Amateur, als Zuschauer, Funktionär oder als Streckenposten. Nur so wird daraus ein geiles Ding. Bei einem Glas Bier am Palast der Republik lassen wir den Radsport Tag ausklingen. Lecken unsere Wunden. Im Hintergrund hören wir die Englische Nationalhymne. Ein schöner Tag in Stuttgart.

Wunden lecken
So lief es bei den Profis

Zugabe

Strassenkunst

Dieses Foto hat Kristian bei einem Rad Rennen aufgenommen. Die Kinder (das kleine Mädchen am Bildrand mit ihrem kleiner Bruder🧸) am Strassenrand haben dieses Kunstwerk erschaffen. Er war so begeistert. Im Gespräch konnte er beide Geschwister für das Kinderradrennen begeistern und motivieren. So kann gelebter Radsport Hand in Hand mit den Anwohnern, mit der Bevölkerung gelingen.🥰