Das Neckartal

oder
mehr als
Trollinger mit Lemberger

Im Sinne des Belgischen Kreisels fahr ich mit der [Radbande im Stromberg] mit Tempo an der Neckarschleife entlang. Wir passieren Mundelsheim, Hessigheim und steuern auf Besigheim zu. Mit großem Kettenblatt trete ich hinter dem halten Haudegen Charlie. Der Windschatten schützt mich. Mit einer kleinen Ellbogenbewegung signalisiert er mir das ich in wenigen Sekunden  im Wind fahren muss. Er schärt aus, der Wind blässt mir voll ins Gesicht. Mit  aller Kraft versuch ich das Tempo für die nächsten 200 Meter zu halten. Meine Oberschenkel brennen. Ich fahr ins Laktat. Beisse Coach, Beisse. Ich zucke mit meinem rechten Ellbogen, steure mit einer kleinen Bewegung meine Maschine nach links und  lasse mich  fallen. Benni, Thomas, Marc, Felix und Jannik rauschen an mir vorbei. Jetzt, den Anschluss nicht verlieren. In den Wiegetritt suche ich verzweifelt das Hinterrad vom Charlie, dem alten Haudegen zu erhaschen. Ja, geschafft, ich mach mich klein auf meinem Merida Reacto und nutze die Erholung wieder im Qualitätswindschatten. Meine Beine lockern. Ich schnaufe durch. Ich schaue links, der liebliche Neckar, ich schaue rechts, die Terrassenlagen vom Wurmberg. Ich denke an Wein, an Trollinger, an den Lemberger und meine erste Begegnung mit dieser alten Kulturlandschaft vor über 15 Jahren.

Beissen Coach, Beissen

Ich war ein fränkischer stolzer Winzer. Und den Württemberger Wein kannte ich nur abfällig unter der ausdruckslosen Rebsorte Trollinger. Eine Rotweinsorte, nicht Fisch nicht Fleisch. Eher ein Rosé als Rot. Viertel Schlozzer nannte man die Konsumenten. Ein Mischung mit der bessern Rebsorte Lemberger wurde daraus ein TL. Ein Trollinger mit Lemberger. In der  Geschmacksrichtung Halbtrocken –  zum abgewöhnen.

Meine neue Freundin Miriam, eine Schwäbin aus Kleinsachsenheim, die Partnerstadt von Valréas, zeigte mir stolz ihre Region. Und ich war beeindruckt. Hier oben in den Felsengärten klettere ich und drunten wächst ein vorzüglicher Wein, referierte sie. Sie hatte meine Hochachtung und Interesse geweckt.

Oben Klettern, unten wächst ein guter Wein 🍷

Ferinand Piech stellte mich wenige Tage später für seine Weinabteilung bei Feinkost Böhm ein. Beim Vorstellungsgespräch unterhielten wir uns über die grossen Weine des Bordeaux. Über Mouton Rothschild, wir sprachen über die besten Jahrgänge und ihre Reife Verläufe. Ich schwärmte von den Weinen des Burgunds, der Corton Weinberg, oder Vosne -Romanée. Er berichtete von seinem Lieblingswein La Scolca aus dem Piemont.

Über die Württemberger Weine fiel kein einziges Wort.

Feinkost Böhm

Meine neuen Kollegen merkten schnell, der hat Ahnung, hat die Welt gesehen, aber über die Württemberger Weine hat er  keinen blassen Schimmer. Mein Kollege Rüdiger Leischner und guter Freund gab mir einen Crash Kurs. Jedes Wochenende besuchte ich ein anderes Weingut. Ich lernte Gerd Aldinger kennen, ein Pionier, besuchte das Familienweingut Wöhrwag und wanderte am Rotenberg entlang. Schaute mal beim Dautel rein. Kennst Du Dautel nicht! (lieber Max 😜) Der Trollinger konnte mich immer noch nicht begeistern, aber ein Riesling vom Fellbacher Lämmler oder ein Spätburgunder vom jungen wilden Schnaitmann. Ein Merlot vom Untertürkheimer Mönchberg stand meinen Lieblingsbordeaux im nichts nach. Die gleiche Kraft, die gleiche feine fruchtbetonte Nase und die gute Struktur am Gaumen. Geprägt vom guten Barrique der besten Tonnellerie Frankreichs. Ich war geflasht. Stück für Stück bekam ich ein Gefühl für diese einzigartige Kulturlandschaft, für die Weine, für die Weinmacher.

Zwischen Besigheim und Gemmrigheim liegt ein Segment für den Segmentcup der [Radbande im Stromberg] 2021. Ich rufe den Jungs zu: Jetzt hole ich die Bestzeit! Ich starte mit meiner größten Übersetzung. 2,2 km allein gegen die Uhr. Im Sinne eines Zeitfahrer, eines Stundenweltrekordler, wie einst Eddy Merckx 1972, sitze ich auf meinem Merida Reacto und stürme  dem Ziel entgegen. 🏁

Thomas hat mal ne Zeit vorgelegt💪

Geschafft, aber doch nicht die beste Zeit, wie konnte das sein? Thomas kommt an mich herangefahren. Coach, du musst wieder kommen wenn der Wind günstig bläst. Bei meiner Bestzeit blies der Wind mit 80 km/h in Böen von hinten. So bekommt man die Bestzeit, zwinkerte er mir zu!

Ich verabschiede mich von der [Radbande im Stromberg] . Fasele etwas von „nicht guten Beinen“. Gemütlich fahr ich den Neckar entlang, abseits der Strasse benutze ich den Radweg. Über eine kleine Brücke quere ich den Neckar bei Hessigheim. An der Ecke sehe ich die grosse Winzergenossenschaft. Die Felsengarten Kellerei. Ein Terra Merlot hatte ich mal vor kurzer Zeit im Glas, sinniere ich. War gut, erstaunlich gut.  Oder ein Wein von der Serie „Schwarzer Rappe“ . Die können was. Mein Name wird gerufen, Ich schaue auf.

Es ist der Siggi, vom gleichnamigen Weingut. Komm rein, ruft er mir zu. Wir verkosten gerade die neuen Jahrgänge. Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Er hat an der Ecke neu gebaut. Eine schöne Vinothek mit einem  grossen Findling als gedachte Theke in der Raummitte. Ich trete ein. Ich sehe die anderen Top Winzer aus Hessigheim am Findling stehen. Sie begrüssen mich herzlich. Fabian Lassak, bester Jungwinzer, Alexander Eissele vom gleichnamigen Bio Weingut Eisele von Schräg gegenüber, Fabian Alber mit der Boutique Winery ex Nicrum und dazugehöredem kleinem Garni Hotel aus der Ortsmitte. Es ist die neue Generation. Der Wein – Hot Spot Hessigheim ist versammelt.

Hot Spot Hessigheim

Sind gerade bei den Weissen, sagen sie. Schenken mir Blind ein. Könnte ein Riesling vom Muschelkalk sein. Diese kühle Frucht, trocken rassig, saftig, ein bisschen verspielt am Gaumen. Einfach lecker, sage ich. Freudiges, wohlwollendes Nicken in der Runde. Es folgt ein Sauvignon Blanc, ein Weissburgunder, im Holz ausgebaut. Wir wechseln jetzt die Farbe. Es kommen die Roten. Auch hier Blind, man will unbefangen, ohne Vorurteile an die Geheimnisse der Weine gelangen, Ehrlichkeit, Nachhaltigkeit sind die Schlagwörter. Jetzt hab ich ein Burgunder im Glas, rufe ich raus. Alle schmunzeln. Ein Trollinger aus der den Terrassen im Doppelstück ausgebaut, flüstert der Siggi. Ich glaub´s nicht, ich mag Trollinger!; ruf ich ungläubig. Ein grosses Gelächter in der Winzerrunde.

Anschließend probieren wir Lemberger, Cabernet Sauvignon und Sangiovese. Anregend wird gestritten, diskutiert, fachgesimpelt. Den richtigen Weg finden. Für die Zukunft des Weinbaus in den Terrassenlagen. Im Neckartal. Hier und Heute wird ein Weg aufgezeigt. Denke ich mir. Ich bin begeistert.

Mein Merida Reacto wartet. Ich verabschiede mich. Zolle jedem Winzer mein Respekt und Anerkennung. Hole mein Licht raus für Notfälle. Radle in die sternklare Nacht. Am Horizont sehe ich den Wurmberg mit seinen berühmten Terrassenweinbergen verschwimmen. Tief atme ich die kühle, klare Neckar Luft ein. In meiner Rückentasche ein Flasche Riesling vom Muschelkalk. Gehts mir nicht gut!

Bleibt Gesund, bleibt mir treu. LG. Euer Coach.

Nachspann

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