Sunday bloody sunday
oder
How long must we sing this song ?
Es ist kein Sonntag, kein blutiger Sonntag. Es ist heiss an diesem Donnerstag im Juni, sehr heiss. Ich stehe im Wiegetritt mit meinem Merida Reacto in der Vogesen Wand. Ich nehme meinem Radhelm ab um meinen Kopf mit Wasser zu kühlen. „Helm wieder aufsetzen“ brüllt Stefan von der Radbande mir zu, sonst bekommst du einen Sonnenstich! Vor hundert Jahren im 1.Weltkrieg hätte mich ein französischer Scharfschütze ins Visier genommen. Kopfschuss.
Auf Einladung unserer französischen Radfreunde vom VCV Valréas zu einem gemeinsamen Radsportcamp in Gérardmer, Vogesen bin ich mit den #Strombergbuben kommend aus Freiburg unterwegs. Ich denke an den Krieg im Donbass, (der sich zu einem erbitterten Stellungskrieg entwickelt) ich summe sundy bloody sunday von U2 vor mich her. How long, how long must we sing this song? Ja, vor hundert Jahren war hier in den Vogesen auch ein erbitterter Stellungskrieg. 30.000 deutsche Soldaten und bestimmt genauso viele Franzosen haben hier in den Bergen ihr Leben verloren. Was wird mich erwarten? Wie werden wir empfangen? Als Freunde, als Gegner, als Feinde oder als Brüder im Geiste? Wir erreichen Col de La Schlucht, rollen nach Gérardmer. Ein feiner hübscher Ort in den Vogesen Bergen auf Höhe von 600 Meter gelegen, unser Domizil für die nächsten 4 Tage. Die Sonne lacht, unsere französischen Radfreunde erwarten uns schon sehnsüchtig und bereiten uns einen warmen herzlichen Empfang. Wir verabreden uns für den nächsten Tag um 9:00 Uhr. Dann führt uns die Tour zum Grand Ballon! Ensemble.
Am Abend kochte Felix ein grossen Topf Spaghetti für die hungrigen Strombergbuben. Keiner von uns war je hier in den Bergen, keiner kennt die Steigungen, keiner kennt die gefährlichen Abfahrten. Es wird noch angeregt diskutiert. Mit vollem Magen und ein Glas Bier Kronenbourg geht jeder mit seinen eigenen Gedanken, Wünschen und Hoffnungen auf den nächsten Tag zu Bett.
Die Sonne lachte, nach einem Petit Dejeuner mit frischem Baguette, knusprige Croissants mit dick Butter drauf, einem Schluck Kaffee erreichen wir mit unseren schicken Merida Reacto, Renn Maschinen, die im Sonnenschein blitzten, unseren Treffpunkt hoch über Gérardmer im Skigebiet. Ein grosses Hallo Bonjour und shake hands mit unseren Freunden aus Valréas Es war angerichtet.
Das Peleton angeführt von Bruno Lauzier, setzte sich in Bewegung. Gemeinsam starten, gemeinsam ankommen. Schön ging es aus Gérardmer am See auf sanften Strassen entlang heraus. Das Tempo war moderat. Felix und Marc waren nervös, wollten schneller, zeigen was sie drauf haben. Wie junge Rennpferde beim Start in der Box. Nur ruhig Brauner, nur ruhig. Die ersten kleinen Cols wurden gemeinsam erreicht. Ich sah besorgt in den Himmel. Regenwolken zogen auf, es wurde merklich kühl. Ich hatte nur eine kleine Windweste dabei. Ein Fehler. Aber ich wollte Gewicht sparen. Wir bogen in die Passstrasse zum Grand Ballon ein, jetzt flog das Feld auseinander, jeder musste sein Tempo finden, sein Rhythmus. Die jungen fuhren jetzt wie entfesselt, sie waren in ihrem Element. Die jungen Franzosen hatten die Aufgabe bekommen den Deutschen als Wasserträger und Edelhelfer zur Verfügung zu stehen. So hatte ich stets den starken Teddy und Alban an meiner Seite. Wie zwei französische Hütehunde liessen sich mich nicht aus dem Blick. Oben kurz vor am Gipfel spürte den Eisregen auf meiner Haut, der Wind peischte mir direkt ins Gesicht, die letzten kehren, den Gipfel im Blick. Adrenalin, pure Freude. Oben auf der Station, Schulterklopfen, rein ins Warme. Ein willkommener und wichter Espresso Stopp. Die Franzosen waren gut vorbereitet, hatten einen Besenwagen dabei. Teilten das mitgebrachte Baguette mit uns. Eine nette Geste!
So, nach dieser Pause, raus in die Kälte, raus in den Regen, raus in den Wind der um den Grand Ballon pfeifte. Charlie der alte Haudegen zog sich schnell noch eine alte Zeitung unters Trikot. Ein Trick aus alten Renntagen in denen mann noch mit schweren Baumwollklamotten und mit Radschuhen die man an die Pedale gezurt hatte die Berge erklomm, berichtet er mir.
Es gibt eine Strasse, die nennt sich Route de Crêtes. Eine Strasse die keine Dörfer verbindet. Eine Strasse im Schutze der Gipfel auf französischer Seite. Gebaut im 1.Wektkrieg um die Militärs mit Nachschub zu versorgen. Auf dieser Strasse fahre ich mit Tempo im Windschten der schweren Jungs 1. Präsident Wesley Lane und 2. Prasident Fabrice Winaud vom VCV Valréas. Nur nicht abreissen lassen, ich mach mich klein auf meinem Merida Reacto, das Tempo ist mörderisch. Immer wieder geht Fabrice aus dem Sattel mit seinen dicken Oberschenkeln. Hält das Tempo hoch, keine Verschnaufpause, selbst hinter diesem französischen Qualitatswindschatten! Aber wie geil ist den das. Hundert Jahre nach Kriegsende sause ich diese Strasse entlang. Kein Atilleriefeuer, keine Scharfschützen muss ich fürchten. Nur eins: drannbleiben!
In Géradmer kommen wir dann gemeinsam (wie versprochen) wieder an. Ein freudiges „a demain“ von unseren Französischen Radfreunden aus Valréas. Der nächste Tour Tag hat es in sich. 150 km 3000 Höhenmeter sind im Roadbook angegeben. Hoffenlich wird das Wetter besser. Sonst sterbe ich.
Planche des Belles Filles oder Super Planche des Belles Filles, diese Worte lassen jeden Rennfahrer erschaudern. Dort wurde die Tour de France schon entschieden, auf dem Weg zum Gipfel haben sich Dramen abgespielt. Greipel hatte seine Rennmaschine über die Ziellinie getragen. Dort wollen die Franzosen mit uns hoch. Was haben sie mit uns vor? Wollen sie uns leiden sehen?
Die Morgensonne über Gérardmer lachte, die Gewitterwolken der Nacht hatten sich verzogen. In zweier Reihen führte uns Bruno und Jacques aus dem Ort über den ersten kleinen Col de Rupts. Meine Beine waren gut, erstaunlich gut. Mit Tempo wie an einer Perlenkette gereiht fuhren wir die schönen Täler der Vogesen entlang und in Windeseile errichten wir Thillot und begrüßten die mit dem Auto angereisten Radfahrer, die sich ein paar Kilometer sparen wollten. Im grossen deutsch französischen Peloton fuhren wir freudig weiter. Nichts ahnend was dort noch auf uns zu kam. Der erste Anstieg, die ersten steilen Rampen, ich glaub die wollen uns verarschen, die wollen uns grillen, die wollen uns leiden sehen. Das kann doch keine normale Strasse sein? Über 18%. Ich kotz. Ich fahre mit einer Profimaschine, Kompakt 52/36, Kassette 11/32. Im Wiegetritt versuch ich meinen Rhythmus zu finden. An meiner Seite Präsident Charlie. Gottseidank, er muss auch leiden, muss auch kämpfen. Oben am Col wird jeder noch mal die letzten Meter angefeuert. Ich entdecke ein Schild. Ja, hier ist auch die Tour de France gefahren und Thibaut Pinot hält mit 11:28 Minuten den Rekord.
Ein Erinnerungsfoto, warten auf den letzten. Einfach guter Radsport. Jetzt die Abfahrt nach Planche les Mines, der Start in den Berg, in den Mythos, in dem schon die Tour de France entschieden worden ist. Teddy steckt mir noch schnell einen Riegel zu, ich nehm‘ ein Schluck aus der Trinkflasche. Jetzt ist jeder auf sich allein gestellt. Ein grosses Poster am Wegesrande. Jan Ulrich in lebensgross auf seiner Rennmaschine mit entschlossenen Blick motiviert mich auf meine letzten Reserven zu greifen. Ich geb‘ alles. Die letzte Kehre, die letzten 18 %! THIBAUT PINOT , THIBAUT PINOT, THIBAUT PINOT in grossen Buchstaben auf der Strasse signalisieren mir das Finale. Ich versetze mich in einen Tour Sieger. Das Trikot zu ziehen, freihändig nehme ich die Siegerpose ein. Applaus, Applaus Applaus. Fahre ich dem Ziel entgegen. Gutes Gefühl, so ein Tour Sieg.
Wer nun gedacht hat, das war’s. NEIN. Ein Col musste noch erklommen werden. Ballon de Servance 1216 Meter Hoch. Kleine Strassen, frei von Autoverkehr, frei von Motorrädern, frei von jeglichem Lärm der Civilization. Charlie nimmt Jacques Leclerc im Windschatten mit, jetzt sind die Rollen vertauscht. Der Deutsche gibt dem Franzosen die Unterstützung die er braucht um gut den Berg zu erklimmen. Ich lass abreissen, muss meinen eigenes Tempo mit meinem Merida Reacto am letzten Col finden. Die Strombergbuben wissen: Der Coach kassiert sie alle in der Abfahrt. Und so wars. Den Bremspunkt immer am Limit, nochmal aus der Kurve beschleunigen, ungläubigen, verwunderten Blicke meiner Radfreunde aus Valréas rausche ich an ihnen vorbei in das Tal und erreiche als erster das Ziel. Kleiner Spass. Schön wars.
Bruno, Teddy, Jaques, Pierre, Alban, Maurice, Didier kamen an mich herangefahren, klopften mir herzlich auf die Schultern. Ein kühles Bier und ein gutes Abendessen heute Abend bei uns sprach der 1.Président Wesley Lane die Einladung aus. Das habt ihr Euch verdient, lobte Bruno die deutsche Equipe! Grosse Freude bei den Strombergbuben. Am Abend wurde gut getrunken, gut gegessen, es wurde viel gelacht! Präsident Charlie hielt eine Staatstragende Rede und betonte wie wichtig die Deutsch – Französische Freundschaft für Europa ist. Wir haben viel in den letzten 70 Jahren erreicht. Aber das erreichte zu behalten, zu erhalten, sind immer wieder Anstrengungen nötig. Nichts ist selbstverständlich. Wie am Berg: wir brauchen Wasserträger und Edelhelfer. Das Peloton ist immer stärker als der einzelne Ausreisser. Überwinden wir Grenzen, überwinden wir Sprachbarriere, überwinden wir Vorurteile. Liberté, Égalité, Fraternité
Charlie und Bruno tauschten die Trikots und bekräftigten durch diese Geste ihre Freundschaft. HERZERGREIFEND
Radfahren ist kein Spiel, Radfahren ist ein Sport. Hart, unnachgiebig und unerbittlich und man muss auf vieles verzichten. Man spielt, Fussball oder Tennis oder Hockey. Aber man spielt nicht Radfahren - Jean de Gribaldy