Der Kulturverein
oder
der letzte Abend
Es ist ein lauer Sommerabend. Ich biege gerade mit meinem Merida Reacto in die Fußgängerzone von Bietigheim ein. Die tiefstehende Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Ich kneife die Augen zusammen. Der Herrenaustatter Kittel schliesst gerade sein Geschäft. Schräg gegenüber ruft Harry von der Bar Agora: Ein schnelles kühles Tannenzäpfle? Oh ja, das tut gut, das zischt gut. Ich ziehe weiter, verabschiede mich und ruf ihm zu: bis morgen auf auf einen vitalisierenden Espresso. Gemütlich schiebe ich mein Rad durch die Fußgängerzone. Schöne Fachwerkhäuser säumen meinen Weg. Costa vom Restaurant Falken, direkt an der Ecke vom Marktplatz, ruft mir zu: Bastian, hab noch leckeres Gyros auf dem Grill. Costa , eine Seele von Mensch, dem kann man nichts abschlagen. Ich bewundere ihn. Bei ihm fühlt man sich wohl. Ein Lied kommt mir in den Sinn: Meine kleine Kneipe von Peter Alexander.
Es gibt sie wirklich, die kleine Kneipe. Oh la la, der Zanziki hat es es in sich. Ich lass es mir schmecken. Verträumt schau ich auf den Markplatz und meine Erinnerungen führen mich nach Hösbach. Ich werde direkt in mein Bistrot Gräfenstein am Marktplatz katapultiert. Ein schönes Bistrot. Die geschwungene Theke, die provencalischen Stühle, die ockerfarbende Wände, die romantischen Kerzen auf den Tischen. Hochzeiten Geburtstage, Todesfälle, Geschäfstessen, Rendezvous, alles hat das Bistrot gesehen und erlebt. Man fühlte sich wohl. Ich war jung, vielleicht zu jung. Ich musste es schließen. Aber nicht so einfach, nochmal richtig feiern, mit einem Paukenschlag.
Meine Nachbarin war eine berühmte Oper Sängerin. Julie Griffith. Ich bin unmusikalisch, ich kann nicht singen. Doch Sebastian, jeder kann singen, sagte sie mir mal bei einem Glas Wein. Sie gab Gesangsunterricht und hatte eine Schar guter Schüler unter sich. Sie studierten gerade die Zauberflöte ein. Hatten aber keine Bühne. Da kam mir die Idee die Zauberflöte auf unseren Marktplatz unter dem freien Himmelszelt Ur aufzuführen.
Zu dieser Zeit war ich auch im Gemeinderat dieses Dorfes. So wird es ein leichtes sein die Genehmigung für dieses Event auf dem Marktplatz zu er halten, dachte ich mir. Passiert ja sonst nichts auf dieser tristen, trostlosen Fläche mitten im Herzen, eingerahmt von Kirche und Rathaus. Sebastian, das wird schwierig, bis unmöglich sprach der Bürgermeister Robert Hein unter vier Augen mit mir. Wenn du ein Verein wärst hätt ich eine Möglichkeit, so sind mir die Hände gebunden. Mein Ehrgeiz wurde geweckt. Ein Verein sinnierte ich, ja ein Kulturverein, das könnte die Lösung sein. Aber wie und wer hilft mir? Ich sprach meine Gäste an. Eine Handvoll konnte ich begeistern und für die Gründungsversammlung des 1. Kulturverein Hösbach e. V. einladen. Ich wusste, keiner würde den Vorsitz übernehmen. So bat ich meine Schwester Henriette. Nur pro forma, nur auf dem Papier, überzeugte ich sie. Ich mach wirklich nichts? Ja, hast mein Ehrenwort. Der Abend der Gründungsversammlung. Gekommen waren: Erich Dürr, Susanne Vincon, Gabi Paschold, Mona Junk, Thea Schulmeyer
Alle wollten mir helfen , alle hatten mit ihren Familien, mit ihren Freunden schöne Stunden im Gräfenstein. Eigentlich wollten Sie nicht das ich den Ort ihrer Geselligkeit, Ihrer Heiterkeit dicht mache. Aber sie respektierten meine Entscheidung.
Noch einen Ouzo? reist mich Costa aus meinen Tagträumen. Ja, gerne rufe ich ihm zu. Geht aufs Haus. Wie hab ich das vermisst in der Pandemie. Das war doch kein Leben. Ohne Kunst, ohne Kultur. Und ohne soziale Kontakte. Wir brauchen das, wie unser täglich Brot.
Der Brunnen plätschert, im Hintergrund höre ich leise Udo Jürgens aus der Jukebox trällern. Griechischer Wein, wie passend, denk ich mir. Ich Summe ein bisschen mit, jede Strophe, jedes Wort ist mir bekannt. Heimweh Costa?
7 Gründungsmitglieder braucht ein Verein. Die Vorsitzende hatte ich schon mal! Danke Henni. Wer macht den Zweiten, wer macht den Kassier, Schriftführer und Beisitzer? Erich hatte mal schon ordentlich eine Satzung mitgebracht. Ich hatte keinen Plan. Es wurde rege diskutiert. Susanne signalisierte sich für das Amt als Schriftführer zu Verfügung zu stellen. Gewählt. Wer macht den nun den 2.Vorstand? Mir kam ein Gedanke . Heinz Peter Rausch, ein Musiklehrer und Dirigent aus dem Ort, den können wir doch anrufen. Gesagt, getan. Er war überrascht, wir redeten auf ihn ein. Er konnte nicht anders als Zusagen. Geschafft. Erich übernahm den Job als Kassier und mit drei Beisitzern war der 1. und einzige Kulturverein in Hösbach an einem Montag um 22.33 gegründet.
Ihr hättet mal die Gesichter meiner Lieben Gemeinderäte sehen sollen, als ich den Antrag für das Open Air Konzert auf dem Marktplatz vorgetragen habe. Mund offen Kinnlade runter. Leichtes schmunzeln des 1. Bürgermeisters konnte ich kurz erkennen. Er hats mir gegönnt. EINSTIMMIG
Ich brauch 2 Flügel auf der Bühne, wirbelte Julie Griffith theatralisch wie eine große Diva mir ihre Wünsche entgegen. Aber liebe Julie, weißt du was das kostet, stotterte ich. Und die Glocken des Kirchturm müssen auch aufhören zu schlagen gab sie mir noch eine weitere Aufgabe. Sonst kann ich nicht singen. Jetzt muss ich noch mit dem Pfarrer und der katholischen Kirche verhandeln. Uih, was kommt da noch auf mich zu.
Die Abendsonne ging hinter dem Rathaus von Bietigheim unter, Costa zündete Windlichter an. Brachte ein paar Decken. Der Bürgermeister mit ein paar Gemeinderäte schaute nach einer Sitzung noch schnell auf ein Glas vorbei. Wie damals bei mir, dachte ich mir im Stillen und wurde ein bisschen melancholisch. Eine friedliche, heitere bis beschwingte Atmosphäre stellte sich ein. Ich liebe mein neues Leben in dieser Stadt.
Wie ich all diese vielen Vorbereitungen für das Konzert gemeistert habe, weiss ich nicht mehr. Aber ich weiss, ich hatte viele helfende Hände.
Es war angerichtet. Die Regenwolken hatten sich verzogen, die Abendsonne tauchte Hösbach in goldrotes Licht. Die letzten Gäste nahmen ihre Plätze ein. Ausverkauft! Der Pfarrer stellte die Glocken für 2 Stunden aus. Julie Griffith bestieg ihren schwarzen Friesen Hengst und stürmte, als Königin der Nacht, das Kirchgässle entlang in Richtung Marktplatz. Der Friese stellte sich auf die Hinterbeine. Furios, uns stockte der Atem. Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart hatte seine Bühne gefunden.
Es wurde ein unvergesslicher Abend. Standing Ovation, mehrmalige kleine Zugaben, wir hatten nicht genug,wir wollten mehr. Genau so habe ich mir mein Ende vorgestellt. Anschließend gingen wir gemeinsam in die Kneipe. Ich stach das letzte Fass Bier an. Die Musik wurde lauter, es wurde gelacht, getanzt, es wurde ausgelassen gefeiert.
Costa räumt die Gläser auf, bläst die letzten Windlichter aus, klappt die Stühle hoch. Ich sage ευχαριστώ und καληνύχτα. Mein Merida Reacto kennt den Weg, ich habs nicht weit.
Bleibt gesund,bleibt mir treu.LG. Euer Coach